Tanz im Text

Tanz im Text: Sachbuch von Inga Dormiens

Tanz und Literatur – das klingt wie zwei völlig entgegengesetzte Sphären. Während Tanz flüchtig und beweglich ist, ist Literatur beständig und verändert sich nur langsam. Ein einmal gedrucktes Buch bleibt in seiner Form erhalten. 

Trotzdem ist Tanz in vielen Texten ein großes Thema, und genau mit diesem spannenden Zusammenhang befasst sich Inga Dormiens in ihrem Sachbuch „Tanz im Text“. Darin untersucht sie verschiedene skandinavische Erzähltexte aus der frühen Neuzeit bis ins zwanzigste Jahrhundert. 

Tanz als Kulturausdruck in der Geschichte 

Kulturen auf der ganzen Welt tanzen bereits seit tausenden von Jahren aus den unterschiedlichsten Gründen. Dazu zählen religiöser Ausdruck, aber auch Gemeinschaftsbildung und Freude an der Bewegung. Während des europäischen Mittelalters und nach der Aufklärung erfuhr der Tanz starke moralische Einschränkungen. Diese schlug sich in strengen Schrittfolgen nieder, durch die Paar- und Gesellschaftstänze reguliert wurden. Zudem zeigte sich darin ein Klassenbewusstsein, denn die spezifischen Verbeugungen und charakteristischen Fußbewegungen waren nur den Mitgliedern bestimmter Schichten zugänglich. 

Welche Tänze wie dargestellt werden, hängt vom jeweiligen Zeitalter ab. Dormiens beschreibt die jeweiligen Trends anhand verschiedener Autor:innen. In diesem Blogeintrag stelle ich ihre Erkenntnisse zu zwei bekannten Autoren des 19. Jahrhunderts vor: August Strindberg und Hans Christian Andersen. 

August Strindberg: Fräulein Julie

August Strindberg: Fräulein Julie

Erinnert sich noch jemand an das Bild: Männer nicken in Clubs nur minimal mit dem Beat während Frauen ausgelassen tanzen? Wir können darauf hoffen, dass uns die Tanzpraxis nach der Pandemie erhalten bleibt, und zwar in ihrer geschlechtsspezifischen Beschaffenheit. Denn diese gab es schon in der frühen Neuzeit. 

Das 19. Jahrhundert behält diese Trennung bei, und August Strindberg befasst sich in seinem im Jahr 1888 veröffentlichten Drama Fröken Julie (Fräulein Julie) unter anderem mit diesem Thema. Die Hauptpersonen sind Jean, ein Diener, und Julie, die Tochter des Grafen. 

In Anlehnung an die Volksballade (folkevise, folkvisa) bildet der Aufbau eine Art Refrain mit wiederkehrenden Motiven: Nach der zu Beginn beschriebenen Festlichkeit, wird auch der Zwischenakt mit einer Tanzszene eingeleitet. Der Konflikt des Dramas verbindet die Geschlechterproblematik mit einem sozialen. Gerade, da sie sexuelle Aktivität verkörpert, ist Julies Selbstmord fast unvermeidbar. Dies spiegelt sich im Reigen, einem fortlaufenden Reihentanz. Indem sie ‚aus der Reihe‘ tritt, verlässt sie die Vorstellungen der Gesellschaft und somit deren Schutz.

Hans Christian Andersen: Eines Dichters Basar

Hans Christian Andersen: Eines Dichters Basar 

Moderne Leser verbinden Hans Christian Andersen mit Märchen. Tatsächlich ist seine Literatur jedoch so wenig disney-esque wie die ursprünglichen Märchen der Gebrüder Grimm. Es handelt sich um sprachlich ausgefeilte Kunstmärchen, sie sich mit komplexen Themenfeldern wie der Warenwelt, Konsum, Sexualität, Geschlechterverhältnissen und Globalisierung befassen. In mehreren Texten stellt er diese Motive anhand des Tanzes dar. So beispielsweise in seinem 1842 erschienener Roman Eines Dichters Basar. Darin beschreibt er eine Reise durch Italien und Griechenland bis in die Türkei. Das Werk gilt als erster moderner, touristischer Reisebericht. 

Andersen nutzt den Tanz nicht nur als Symbol, sondern beschreibt auch reale Tanzformen. Ein Beispiel dafür ist der Tanz der Derwische. Ein Derwisch ist ein Sufi, also ein Mitglied einer muslimischen Religionsgemeinschaft, welche sich einem asketischen Leben verschrieben haben. Sie zelebrieren ekstatische Tänze mit meditativen Drehungen.

Der Erzähler betrachtet die sogenannte Sema-Zeremonie jedoch als Touristenattraktion. Die Unwissenheit des Erzählers wird zur Erzähltaktik, in der der Tanz aus einer fremden Kultur als „merkwürdig“ und „wild“ bewertet wird. Faszination und Degradierung gehen Hand in Hand, wie es im Orientalismus üblich ist. Obwohl es sich um ein zeitgenössisches Phänomen handelt, wird dieser Aspekt von Andersens Texten heute zu Recht kritisch betrachtet. 

Hans Christian Andersen: Die roten Schuhe

Hans Christian Andersen: Die roten Schuhe

Die Bewegung der Körperkultur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts war prädestiniert, sich im Tanz auszudrücken. Der tanzende Körper wurde zur Ikone der Moderne, strukturiert in seiner Natürlichkeit durch den Rhythmus als Bewegungsgesetz. In der Literatur fanden sich neue Verbindungsmöglichkeiten des Sozialen mit der Bewegung. 

Beispielsweise erzählt Hans Christian Andersen in De røde Sko (Die roten Schuhe) die Geschichte des armen Mädchens Karen. Sie erhält ein Paar roter Schuhe, welche ihr sozialen Aufstieg zu ermöglichen scheinen. Jedoch sind sie verflucht, und als sie ihren sozialen Verpflichtung nicht nachkommt, wird sie mit ewigem Tanz bestraft. Um dem Schicksal zu entkommen, müssen ihre Füße amputiert werden. Gnade findet sie erst im Tod. 

Der Tanz steht in dieser Geschichte für soziales Aufbegehren in einem rigiden System, welches diese Rebellion jedoch abwehrt. „Die Amputation ist eine grausame Verhinderung von körperlicher und sozialer Mobilität“, schreibt Dormiens dazu. 

Sie zeichnet außerdem die Entwicklung des Bildes der roten Schuhe nach. Neben anderen literarischen Aufarbeitungen der Metapher hat diese ihren Weg in die Musik, das Musical und in den Film gefunden. Beispielsweise erschien 1984 der Ballettfilm The red shoes der Regisseure Michael Powell und Emeric Pressburger. Darin wird das Tanzthema in bis zu zwanzigminütigen Szenen ausführlich untersucht. 

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Skandinavische Autorinnen und Autoren entdecken in "Tanz im Text"

Skandinavische Autoren und Autorinnen entdecken 

Hier wurden nur zwei Autoren oberflächlich besprochen. Dormiens geht in ihrer Analyse wesentlich mehr in die Tiefe. Zudem bietet sie einen historischen Überblick über die Werke zahlreicher skandinavischer Autor:innen, wie Johann Gottfried Herder, Camilla Collets und Karen Blixen. Wenn du Bücher und Schreibende entdecken möchtest, die dir sonst vielleicht entgangen wären, solltest du auf jeden Fall in „Tanz im Text“ von Inga Dormiens reinschauen. 

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