Was ist die Bury your Gays Trope?
Trigger Warnung: Dieser Beitrag behandelt Misshandlung von LGBTQ Figuren und Suizid. Wenn du sensibel auf diese Themen reagierst, lies lieber einen anderen Beitrag.
LGBTQ-Geschichten in den Medien sind oft Leidensgeschichten. LGBTQ-Figuren werden als Kriminelle, hypersexuelle Bösewichte oder gequälte Seelen dargestellt. Langsam bewegt sich die Medienlandschaft von stereotyper Darstellung queerer Figuren weg. Dennoch sind ihre Geschichten oft von Leid in Form von Homophobie und Missbrauch geprägt. Ein allgegenwärtiges Gefühl eint sie: Queer zu sein bedeutet, zu kämpfen – und oft genug, zu sterben.
Statistisch sterben queere Figuren in Medien wesentlich häufiger als heterosexuelle. Dieses Phänomen heißt „Bury Your Gays“. Neben dem Tod von LGBTQ-Figuren umfasst es auch Narrative, in denen sie dauerhaft unglücklich sind. Wie dieses Phänomen entstand, wie es sich im Laufe der Zeit veränderte und was Autor:innen heute anders machen können, beschreibe ich in diesem Blogeintrag.
Begraben in den Subtext
Bereits im 19. Jahrhundert wurden die Grundsteine für die Bury Your Gays Trope gelegt. Damals wurde Homosexualität aufgrund von Unanständigkeitsgesetzen mit Gefängnis bestraft. LGBTQ Autoren mussten queere Geschichten zensieren, um Strafen zu entgehen. Beispielsweise wurde Oscar Wilde wegen vermeintlicher Unsittlichkeit vor Gericht gestellt. Sein Roman Das Bildnis des Dorian Gray diente dabei als Beweis für seine Verderbtheit. Grund war die scheinbar offensichtliche Anziehung des Malers Basil Hallward zu Dorian.
Während der homoerotische Subtext sicherlich vorhanden ist und in der Forschung diskutiert wird, ist nichts davon explizit. Zudem wird Basil für seine Anziehung mit dem Mord durch Dorian symbolisch bestraft. Dennoch war dies offensichtlich nicht genug, um Wildes Zeitgenossen zu besänftigen, wie dessen Prozess zeigt.
Die Pathologie des Queeren
Obwohl sich die Einstellungen seit dem 20. Jahrhundert sicherlich geändert haben, ist die Bury Your Gays Trope allgegenwärtig geblieben. Im Film war das unter anderem durch den amerikanischen Hays Code bedingt. Dieser verbat es Hollywood, „sexuelle Perversion“ darzustellen. Offen queere Figuren verschwanden aus den Filmproduktionen. Stattdessen wurde ihre Identität im Subtext eingeschrieben. Meist erschienen sie nur in der Form von Bösewichten, denen negative Enden zugeschrieben wurden.
Dass diese Praxis auch heute noch gängig ist, zeigt etwa Das Schweigen der Lämmer von 1988. Das Mordmotiv des Täters ist der Wunsch, eine Frau zu sein – die Verwandlung in etwas Schönes, wie Lecter analysiert. Jame Gumbs trans Identität wird nicht explizit genannt, jedoch ins Pathologische gerückt. Wie du trans Figuren in deinem Buch besser beschreiben kannst, erkläre ich in diesem Blogbeitrag.
LGBTQ Figuren psychische Störungen zuzuweisen, ist eines der Mittel, mit welchem sich die Bury your Gays Trope erklärt. Besonders zynisch ist dies, da queer Sein in Deutschland erst in den späten 1980-er Jahren entpathologisiert wurde. Von Leser:innen und Zuschauer:innen wurden diese Figuren also auf doppelte Weise als krank empfunden, wobei ihr Status als Schwule, Lesben oder andere LGBTQ Identitäten ihre anderen psychischen Probleme bedingte.
Die psychischen Probleme von LGBTQ Figuren äußerten sich, wie bei ‚Buffalo Bill‘, häufig in Gewalttaten. Vor allem schwule Männer wurden als gefährlich und zu sexueller Gewalt neigend dargestellt. Die mörderischen Neigungen queerer Frauen fielen oft mit Hypersexualität zusammen. An dieser Stelle wird die Intersektion von Homophobie und Misogynie sichtbar, der LGBTQ Frauen ausgesetzt sind.
Das Schicksal dieser queeren Figuren ist jedoch unabhängig von ihrer Geschlechtsidentität. Unweigerlich werden sie getötet, wobei ihr Tod als eine Form der Gerechtigkeit dargestellt wird und das Publikum erleichtert.
LGBTQ Figuren und das Märtyrertum
Auch positiv dargestellte Figuren entkommen selten einem tragischen Ende. Besonders offensichtlich wurde das während der AIDS-Epidemie der 1980er Jahre. Durch gezielte Missinformationskampagnen wurde die Krankheit gerade in Amerika als „rein schwules“ Phänomen dargestellt. Dennoch war die Angst in der Gesamtbevölkerung groß. Einerseits führte dies zu weiterer Ausgrenzung und Gewalttaten gegen schwule Männer. Andererseits half die größere Öffentlichkeit und das sichtbare Leid der Männer, der schwulen Community ein menschlicheres Gesicht zu verleihen.
Eines davon wurde in Philadelphia von Tom Hanks dargestellt. In dem Film von 1993 spielt er einen Anwalt, Andrew Beckett, der seinen Job verliert, nachdem bei ihm AIDS diagnostiziert wurde. Der Film fokussiert Becketts Sterben, während sein Schwul-Sein nur eine Nebennote ist. Seinen Partner, Miguel Alvarez gespielt von Antonio Banderas, küsst er während der gesamten Handlung nur auf die Wange.
Viel mehr fokussiert das Geschehen auf den Lerneffekt, welchen Becketts Schicksal auf den hetero Anwalt Joe Miller hat. Durch diesen ist Beckett zunächst Schwulenfeindlichkeit ausgesetzt, jedoch hat er keine Wahl, als ihn als Anwalt zu akzeptieren, nachdem Miller sich anders entschieden hat. Ihre Beziehung wird zur Lernmöglichkeit für eine hetero Figur, während die schwule Figur die Leittragende ist.
Neben diesem falschen Fokus hat Philadelphia die Wahrnehmung gefördert, dass queer zu sein gefährlich ist - sogar tödlich. Trotz der Vermenschlichung der LGBTQ Community ist das Narrativ kritisch zu betrachten.
In Fernsehserien sterben besonders oft LGBTQ Frauen. Zwischen 2015 und 2016 wurden 42 lesbische und bisexuelle Frauen in US-TV-Shows getötet – 2016 starben vier von ihnen in einem einzigen Monat.
Die prominenteste unter ihnen war Lexa aus The 100. Nur wenige Minuten, nachdem sie endlich mit ihrer großen Liebe Clarke geschlafen hatte, wurde sie getötet. Ihr Tod zog einen weit verbreiteten Backlash gegen die Bury Your Gays Trope nach sich.
Für viele ist der ärgerlichste Aspekt von Bury Your Gays die Art und Weise, wie LGBTQ-Charaktere oft als entbehrlich behandelt werden. Wie bei Beckett aus Philadelphia ist ihr Tod nur Motivation für andere, oft für hetero Figuren. Selbst wenn Geschichten ihren Tod aufgrund von Homophobie und Hassverbrechen in den Mittelpunkt stellen, laufen diese Figuren Gefahr, als Symbole zu enden, statt als Menschen.
The Gays bury themselves
Wurden LGBTQ Figuren nicht von anderen ermordet, starben sie häufig durch ihre eigene Hand. Unfähig, länger mit der Diskriminierung gegen ihre Sexualität zu leben, begehen viele Suizid.
Lillian Hellman verfasste 1934 das Theaterstück The children’s hour. Darin werden die Internatslehrerinnen Martha und Karen beschuldigt, eine lesbische Affäre zu haben, was Martha dazu bringt, ihre wahren Gefühle zu erkennen. William Wyler verfilmte den auf wahren Begebenheiten basierenden Stoff im Jahr 1961, veröffentlicht in Deutschland unter dem Titel Infam. Die lebenden Vorbilder für die Geschichte verloren lediglich ihre Arbeitsstellen. Sowohl Hellman als auch Wyler entschieden sich jedoch, Martha, geplagt von ihren Gefühlen, Selbstmord begehen zu lassen.
Diese Geschichten normalisieren und romantisieren den Selbstmord von queeren Charakteren. Zudem können sie gerade das LGBTQ Publikum dazu bringen, Suizid in Betracht zu ziehen. Da gerade queere Jugendliche einem hohen Selbstmordrisiko ausgesetzt sind, sind solche Narrative umso schädlicher. So fand eine Studie aus dem Jahr 2020 heraus, dass etwa 40 Prozent der LGBTQ Jugendlichen ernsthaft über Selbstmord nachgedacht haben.
Dabei spielen fiktionale Darstellungen durchaus eine Rolle: Eine Studie aus dem Jahr 2010 ergab, dass je mehr sich Zuschauer mit suizidalen Protagonist:innenen identifizierten, desto wahrscheinlicher war es, dass sie diese negativen Gefühle teilten. Ihre eigene Zukunft immer nur als Leidensgeschichte zu sehen, kann gerade junge queere Menschen psychisch belasten.
Ablehnung als Grundeinstellung
Die Leben von LGBTQ Figuren enden so oft durch die eigene Hand, weil sie von allen Seiten Ablehnung erfahren. Während Homophobie etwas ist, das viele queere Menschen erleben, ist es nicht alles, was unsere Erfahrungen ausmacht. Die Allgegenwart von anti-queerer Gewalt in den Medien unterstreicht das Gefühl, dass LGBTQ Menschen unweigerlich abgelehnt und missbraucht werden. Diese Geschichten verstärken die Vorstellung, dass queer zu sein unweigerlich bedeutet, Gewalt und Elend zu erfahren
Das spiegelt sich wiederum in der mentalen Gesundheit der dargestellten Figuren: Oft sind sie einsam, melancholisch oder depressiv. Grund dafür sind Diskriminierung, Ablehnung, Spott und Gewalt. Gegen diese Feindseligkeiten anzukämpfen, ist häufig das zentrale Thema von LGBTQ Geschichten, wenn diese nicht als Schurken dargestellt werden.
Viele dieser Geschichten basieren auf realen Erfahrungen. Gerade, wenn eine LGBTQ Crew hinter der Produktion steht, enden Filme und Bücher damit, dass sich queere Figuren befreien, sich selbst akzeptieren und sogar Glück finden. Dennoch sind sie kritisch zu betrachten, da solche Erzählungen die Vorstellung nähren, queer zu sein bedeute automatisch, von der eigenen Gemeinschaft entfremdet und unerwünscht zu sein.
Dies kann zu dem zuvor angedeuteten Phänomen führen, dass queere Menschen in ihren eigenen Geschichten ins Abseits geraten und sich alles darum dreht, wie Hetero- und Cisgender-Menschen auf sie reagieren. Selten ist es LGBTQ Figuren erlaubt, Mittelpunkt ihrer eigenen Geschichte zu sein - geschweige denn, darin glücklich zu sein.
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zum schreiben queerer Figuren
Ein bisschen Glück finden
Scham, Ablehnung und Angst sind Probleme, mit denen LGBTQ Personen in der realen Welt konfrontiert sind. Erst seit kurzem gehen mehr und mehr Geschichten darüber hinaus und zeigen, dass queere Figuren nicht nur überleben, sondern glücklich sein können.
Diese Entwicklung kam nicht von selbst, sondern durch den Einsatz von Aktivist:innen der LGBTQ Community und Allies. Diese forderten in Folge der gehäuften queeren TV-Tode im Jahr 2016 beispielsweise von Autor:innen und Filmschaffenden, bewusster mit ihren LGBTQ Figuren umzugehen. Speziell sollten diese nicht mehr getötet werden, um die Handlung einer heterosexuellen Figur zu fördern.
Insgesamt ist seit wenigen Jahren eine Zunahme queerer Figuren in den Medien zu beobachten. Dadurch können Autor:innen deren Lebensgeschichte komplexer darstellen als in früheren Jahrzehnten. Während die Narrative nicht immer glücklich enden, führen sie auch nicht unausweichlich zu Tod oder Qual der LGBTQ Figuren – ganz wie bei cis hetero Figuren.
Oft ist die Identität der Figuren kein Gesprächsthema für andere, sondern wird vorbehaltslos akzeptiert. Autor:innen müssen nicht darauf verzichten, queeren Figuren schwere Lebenswege und Tode zuzuschreiben. Doch diese sind häufiger Ausdruck individueller Lebenswege und Schwierigkeiten und werden nicht als inhärent für LGBTQ Existenzen dargestellt. Ein Buch, welche diese Herausforderung meistert, ist Rowan und Ash von Christan Handel.
Heutige LGTBQ Figuren sollen nuanciert, komplex und ganz normale Menschen sein, deren Leben nicht nur durch ihre Sexualität definiert wird. Noch wichtiger ist, sie dürfen glücklich sein in erfüllten Liebesbeziehungen, Karrieren und Freundschaften, genau wie es Hetero Charaktere seit Jahrzehnten sind.
Und wenn sie leiden, dann nicht, weil sie queer sind. Sondern weil sie Menschen sind.
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